Leibarbeit

Der Mensch, „was immer er tut oder fühlt, er fühlt und tut es, und zwar im Leibe, richtiger gesagt ALS LEIB.“
Karlfried Graf Dürckheim, Begründer der Leibtherapie

Es geht darum, den Menschen in seiner Einheit von Körper, Geist und Seele zu unterstützen, damit er sich zum Ausdruck bringen, als Ganzes erleben und Ängste, Hindernisse und Blockaden gehen lassen darf. In bequemer Kleidung begibt sich der Patient in eine Behandlung, die je nach Anliegen/Beschwerden dann durch achtsame, wohlwollende Berührung stattfindet.

Sei es durch Halten, Massieren, Klopfen, Singen… – Leibarbeit kann im Berührten zu tiefen Wandlungen führen. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. So wie wir alle einzigartige Menschen sind, ist jede tiefe und wandelnde Leibarbeit einzigartig

KGS: Lieber Andreas Krüger, Sie unterrichten an der SHS auch Leibtherapie. Was ist der Unterschied zur Körpertherapie?

Andreas Krüger: Das kann ich ganz einfach beantworten. Die Arbeit am Körper nimmt hier an unserer Schule einen ganz großen Bereich ein. Das beginnt mit klassischer Fußreflexzonen-Massage, wird fortgeführt mit klassischer Massage, intuitiver Massage, gestaltorientierter Körperarbeit, und findet seit einigen Jahren seinen Ausdruck in einem Fach, welches wir‚ personale Arbeit am Leib’ genannt haben.

Woher kommt dieser Begriff und warum nennen Sie diese Arbeit so?

Leibarbeit ist eine Begegnungsform. Heutzutage würde man ‚Körperpsychotherapie’ sagen. Sie wurde von einem der größten Pioniere einer neuen Medizin begründet, dem großen spirituellen und therapeutischen Lehrer Karlfried Graf Dürckheim, der über viele Jahrzehnte in diesem wunderbaren Schwarzwalddorf Tottmoos-Rütte lebte, wirkte, lehrte und heilte. Diese Arbeit, die ich ab Sommer ´82 über mehrere Jahre regelmäßig in Rütte erleben durfte, und die wir dann über mehrere Jahre an der Samuel Hahnemann Schule durch einen der fantastischsten Therapeuten, René Bugnot, an uns selbst erfahren durften. Leibarbeit kann man nicht lernen, man kann sie wirklich nur erfahren. Man kann die eigene Wandlung dieses Berührtwerdens und Berührens erleben. Wir haben es damals als Ausbildungsgruppe erleben dürfen und vor drei Jahren hatte ich das Gefühl, dass auch ich inzwischen so weit war, diese wunderbare Erfahrung des Be- und Durchleibtwerdens mit meinen Schülern teilen zu können.

Warum Leibarbeit? Dürckheim gibt dazu ein ganz klaren Titel. Er sagt: „Du hast einen Körper, aber du bist Leib.“ Die Leibarbeit spricht eine völlig andere Seinswirklichkeit an als die Körperarbeit. Wenn ich einen Menschen an seinem Leib begegne, begegne ich der Einheit dieses Menschen aus Körper, Seele und Geist – und das ganz bewusst und sich ausdrückend in meiner Haltung. Leibarbeit ist in diesem Sinne weder Massage noch manuelle Manipulation des Körpers, sondern sie ist eine Berührung der körperlich seelischen Ganzheit ‚Leib’. Darum sagen wir auch, bevor wir anfangen zu berühren: „Wir horchen auf die Stimme des Leibes und wir folgen dem Ruf des Leibes.“ Leibarbeit wird nicht zur Leibarbeit durch das, was ich tue, sondern durch meine Haltung, die ich einnehme, wenn ich sie tue. Leibarbeit setzt das ‚Horchen’ voraus. Und dieses Horchen auf die Stimme des Leibes wird hier sehr geschult und dann wird diesem Ruf bedingungslos und demokratisch gefolgt, und nicht einem technischen Konzept oder Meridianverlauf oder einer manuellen Grifffolge.
Es könnte also sein, dass du mich bittest, mit dir Leibarbeit zu machen. Du schilderst mir kurz und knapp dein Anliegen. Vielleicht hast du gerade Ärger mit zwei Redakteuren in deiner Zeitung und kannst denen irgendwie nicht sagen – wie der Badenser sagen würde -, „wo der Bartelt den Moscht holt“.

Du hast also gerade ein Problem, deine Alphaposition im Betrieb durchzusetzen. Das höre ich mir an, das nehme ich auf und lasse es dann schon wieder ziehen. Dann setze ich mich neben dich und lausche auf die Stimme deines Leibes. Mit einem Mal höre ich: Befreie meinen Bauch! Befreie meinen Bauch – einfach so. Und dann horche ich weiter. Dann spüre ich und höre einen Wolf, der in deinem Hara gefangen, geknebelt, gekettet ist, und dann horche ich zu diesem Wolf und frage diesen Wolf: „Wolf, was kann ich für dich tun?“ Und der Wolf sagt:“Reibe mich, befreie mich von meinen Ketten, und sing mir ein Lied meiner Kraft.“ Und dann kann es sein, dass meine Hände zu deinem Bauch gehen.
Ein Schamane würde sagen, dass ich eine magische Operation an deinem Bauch durchführe, wo nicht ich operiere, sondern ‚Es’, nämlich wieder mein Leib, mein Wesen, dein Wesen berührt.
Ich habe mal ein Artikel geschrieben, der hieß: „Leibarbeit, wenn Seele Seele berührt“. Der Titel ist aber falsch, ich hätte schreiben müssen „Wenn Wesen Wesen berühren“, denn die Seele ist nun wieder Teil des Wesens.
Und mit einmal merke ich unter meinen Händen, die deinen Bauch vielleicht kneten, drücken, reiben, streicheln, wie dieser Wolf, den ich da erlauscht habe, sich reckt, sich erhebt. Mit einmal höre ich, wiederum horchend auf deinen Leib, ein Mantram, ein Lied, eine Melodie einen Ton. Und jetzt fange ich an zu tönen – sprich, typisch am Leib ist, dass nicht ich töne, dass nicht ich massiere, sondern dass ‚Es’ es tut. Mein tiefstes Wesen ist in Kommunikation mit deinem tiefsten Wesen. Darum ist es durchaus möglich, dass bei Leuten, die aus dem Shiatsu kommen, ihre Leibarbeit immer ein bisschen wie Shiatsu aussieht, dass bei Leuten, die aus der Fußreflexzonenmassage kommen, es immer ein bisschen aussieht wie Fußreflexzonenmassage. Aber zur Leibarbeit wird es deshalb, weil die Haltung eine andere ist. Wenn ich Fußreflexzonenmassage mache, drücke ich den dicken Zeh, wenn ich die Hirnzone stimulieren will.In der Leibarbeit drücke ich den großen Zeh, wenn der große Zeh ruft: „Drücke mich!“

KGS: Wir danken Dir für das Gespräch.

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